Die Geschichte des Flamingo Hotels in Las Vegas liest sich wie eine Gebrauchsanleitung für die USA. Ein enttäuschter Financier, ein unvorsichtiger Mobster und ein zugedröhnter Autor spielen die menschlichen Rollen, und ein Gebäude, zum popkulturellen Symbol stilisiert, liefert den Schauplatz. Freiheit und der amerikanische Traum, und die Risse, die beide bekommen, die metaphysische Ebene.
Publizist Billy Wilkerson (1890 - 1962) gründete mit 40 Jahren den Hollywood Reporter. In seiner Kolumne “TradeViews” begann er Exponenten der Filmszene als Kommunisten zu denunzieren - was zuerst “Billy’s List” hiess, führte zu einer schwarzen Liste von Filmemachern, Drehbuchautoren und Schauspielern, denen ideologische Nähe zu Russland unterstellt wurde. Sein Sohn entschuldigte sich nach seinem Tod - er habe sich dafür rächen wollen, dass Hollywoods damalige Elite ihm Zugang verwehrt und damit seine Ambitionen für ein eigenes Filmstudio zerschlagen hatte.
Auf der Suche nach anderen Investitionsmöglichkeiten kaufte Wilkerson, (dessen erste von sechs Frauen übrigens 1918 an der Grippe-Epidemie starb, die etwa 4% der Weltbevölkerung dahinraffte), ein Stück Land auf dem heutigen Las Vegas Strip. Er hatte grosse Visionen, im Gegensatz zu den billigen Casinos (“sawdust joints”) schwebte ihm ein Hotel in europäischem Stil vor, mit Spa und Golfplatz. Dafür Geld aufzutreiben, war 1945 alles andere als einfach.
Hier kam Bugsy Siegel ins Spiel - ein Mobster, einer der meistgefürchteten Gangster seiner Tage. Er gab sich als Investor aus und übernahm das Projekt. Seinem Bauführer, der von Wutausbrüchen rund um steigende Kosten verängstigt war, soll er gesagt haben: “don’t worry - we only kill each other”. 1946 wurde das Hotel, als Wilkerson-Projekt und als bestes Resort-Hotel des Westens bezeichnet, eröffnet. Es ist umstritten, ob Wilkerson den Namen “Flamingo” festlegte, oder ob sich Bugsy Siegel von den langen Beinen seiner Freundin Virginia Hill inspirieren liess.
Ein Jahr später offenbarten sich erste finanzielle Probleme. Hill deponierte zweieinhalb Millionen an veruntreuten Geldern in der Schweiz, der Mob wurde nervös - 1947 wurde der Mordbefehl ausgesprochen, und Siegel in seinem Haus in Beverly Hills erschossen.
(Virginia Hill starb zwanzig Jahre später in Österreich an einer Überdosis Schlaftabletten. Es wird vermutet, dass sie ermordet wurde, weil sie ihr Wissen über Drogenkartelle und die Mafia hatte verkaufen wollen.)
Das Flamingo-Resort wurde von anderen Besitzern übernommen und etablierte sich in den 50ern mit grossangelegten Entertainment-Shows und einem Innenpark mit lebenden Flamingos.
In den 60ern reiste Gonzo-Autor Hunter S. Thompson unter dem Vorwand verschiedener Aufträge mehrmals nach Las Vegas. Er verbrachte ein paar Nächte im Flamingo und entwarf basierend auf seinen dortigen drogengetränkten Abenteuern den Roman “Fear and Loathing in Las Vegas”, der mit dem Untertitel “eine wilde Reise ins Herz des amerikanischen Traums” zuerst im Musikmagazin Rolling Stone veröffentlicht wurde.
Das Flamingo ist heute das älteste Hotel auf dem Las Vegas Strip. Es sehe ein bisschen niedergewirtschaftet aus, schreibt ein Hotelgast. “Kind of a dump”, sagt ein anderer. Es wirke, als habe eine wilde Party stattgefunden, und als wäre seither am Hotel seit vielen, vielen Jahren nicht mehr gearbeitet worden.
Vordergründig ist es nur ein Haus mit Betten und (einarmigen) Banditen - aber wir alle wissen, worum es geht, wenn wir die Neonschilder sehen, die Palmen, die Wüste unmittelbar unter der Stadt. Wir entwickeln seltsame Sehnsüchte. Wir wissen, dass ihr Glanz bröckelt, und beginnen darauf zu hoffen, dass das Reich zerfallen und die Lichter ausgehen könnten, aber wir kaufen das Ticket immer noch, und machen die Reise immer noch. “Buy the ticket, take the ride” schreibt Thompson. Und: “You took too much man, too much, too much.”